Wie jedes Jahr feiern wir gemeinsam Pfingsten – das Fest der Verständigung, der Einheit, das Fest des Heiligen Geistes, der Liebe Gottes unter uns. Und wir feiern als Glieder verschiedener Konfessionen. Wir sind getragen von der Hoffnung, dass dieser Geist auch heute Mauern niederreißt, Brücken baut und Herzen verbindet. Dass er in Unruhe setzt, aber eben auch die Angst nimmt, uns befreit aus der Macht der Angst um uns selbst. Darum geht es an Pfingsten.
Als dieser Gottesdienst vorbereitet wurde, konnte ich leider nicht dabei sein. Und so bekam ich freundlicherweise einen Ablaufplan zugeschickt, auf dem bei mir einfach stand: „Predigt zum Thema xyz“. Da dachte ich mir: Wenn ich das machen soll, dann mache ich das. Ich predige über X, über Y und über Z. Jetzt ist es ziemlich schwer, im Deutschen Wörter zu finden, die mit X oder Y beginnen (Z geht schon eher). So dachte ich, ich nehme griechische Begriffe, die im Neuen Testament vorkommen. Also sage ich zunächst etwas zu Xenos, dann zu Yios und schließlich zu Zoé. Mein Lieblingswort schlechthin!
Xenos übersetzen wir im Deutschen mit fremd. Einer, der nicht zum eigenen Volk gehört, zur eigenen Sprache und Gemeinschaft, ist ein Fremder. Das gilt politisch, aber nicht nur. Wir Menschen brauchen Gruppenidentitäten. Natürlich! Gewohnheiten – Vertrautes, und das Vertraute definiert uns. Das Fremde ist immer ungewohnt, nicht zwangsläufig beängstigend, aber eben nicht vertraut. Das gilt nicht nur politisch. Das gilt auch für unsere Konfessionen.
Vor genau 30 Jahren schrieb Papst Johannes Paul II. die Enzyklika „Ut unum sint“ (Dass alle eins seien). Leider ist sie etwas in Vergessenheit geraten, aber sie ist ein Meilenstein der Ökumene. Darin sagte Johannes Paul II.: Wir müssen die unterschiedlichen Formen des Gebets, der Liturgie, der Lebensgestaltung kennen und anerkennen; denn alle sind sie Gebet im Geist Christi, und alle bekennen wir uns zu ihm in dem einen Bekenntnis von Nicäa. Dessen Jubiläum feiern wir dieses Jahr 1700 Jahre Konzil von Nicäa.
Wir sind Schwestern und Brüder, weil wir alle in der Taufe die Zusage bekommen, Gottes geliebte Kinder zu sein – und zu bleiben! Alle! Ausnahmslos sind wir geliebte Kinder Gottes. Wir haben es in der zweiten Lesung gehört. Dass wir das glauben dürfen, ist sicher eine der Wirkungen des Heiligen Geistes. Und in der ersten Lesung hörten wir: An Jesus glauben, auf seinen Namen getauft sein, heißt: diesen Geist zu empfangen, nämlich dass wir geliebte Kinder Gottes sind.
Johannes Paul II. gab damals seiner Enzyklika den Untertitel: „Über den Einsatz für die Ökumene.“ Nicht einfach nur über „Ökumene allgemein“ wollte er etwas sagen, sondern ganz klapp und klar: Über den EINSATZ für …, also dass es gar nicht anders geht als ökumenisch. Im lat. Original steht sogar: Über die Pflicht zur Ökumene („officio“)
Auch wenn der Glaube eines anderen Menschen also zunächst fremd für uns sein mag, wenig vertraut: Als Christen dürfen wir nicht stehen bleiben bei dem, was wir schon kennen und gewohnt sind. Das griechische Wort XENOS meint übrigens nicht nur Fremder, also jemand, der mir unbekannt ist, sondern auch Gast. Ja, Gastfreundschaft haben die Griechen zur Zeit Jesu Xenos genannt. Wenn wir also gemeinsam feiern, gemeinsam beten und singen, dann nicht, weil es eben (neben unserem Eigenen) auch noch schön ist, mal was Ökumenisches zu machen. Als Christen können wir gar nicht anders als ökumenisch sein. Auch das sagte Johannes Paul II. vor 30 Jahren. Der Geist, den uns Christus an Pfingsten versprochen hat, ist der Geist der Einheit, nicht der Uniformität; dass alles gleich ist.
Wir sagen heute: Einheit in Vielfalt. Und das ist auch richtig. Wir sollen eins sein, einig sein, nicht gleich sein, weil wir um unsere untrennbare Verbundenheit wissen. Verbundenheit im Bekenntnis zu diesem Jesus, der uns seinen Geist versprochen hat, als er diese Welt verließ. Auch wenn er für uns nicht mehr sichtbar ist; wir können ihn nicht anfassen, wie mein Namenspatron es konnte; wir können nicht mit ihm sprechen, wie es Maria Magdalena konnte. Wir können nur der Verheißung vertrauen, dass er dennoch bei uns bleibt – in seinem Geist.
An Christus glauben heißt: an den Geist glauben, an das Geistige in der Welt; und nicht nur an das Materielle zu glauben. Dass das ganze Sein der Welt durchdrungen ist von seinem Geist. Das sagt uns Pfingsten.
Wir sagen so gern: Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche. Aber nicht, weil sich die Apostel damals hingesetzt hätten und eine Organisation gegründet hätten, sondern weil Gottes Geist wirkt. Weil er eine neue Dynamik in die Welt bringt: Weil er Gottes Gegenwart mitten unter uns ist – mutig, stark, beherzt. Lebendig, verbindend.
Dieser Heilige Geist überwindet die Trennung. Darum geht es. Er bringt Verständigung und Einheit. Der Heilige Geist ist kein ferner, theoretischer Begriff. Er ist auch kein “Bonus” am Ende der Osterzeit. Er ist die lebendige Kraft Gottes in uns. Ja die Liebe Gottes, die über uns ausgegossen ist. Und dieser Geist wirkt, auch wenn es manchmal so schwer ist, es zu glauben. Immer dann zum Beispiel, wenn Menschen sich versöhnen. Wenn jemand den Mut findet, zur Wahrheit zu stehen. Wenn jemand einem anderen zuhört – wirklich zuhört. Für andere da ist. Wenn Glaube lebendig wird, nicht nur aus Gewohnheit. Wenn wir bekennen: Ja, Jesus ist wirklich der Auferstandene, der Herr, der Retter und Erlöser. Dann ist das der Geist Gottes, der in uns wirkt.
Er schenkt Frieden und Vergebung; und Barmherzigkeit. Das ist das Herz des Evangeliums. Und das ist auch der Auftrag, den wir alle mit Pfingsten bekommen: wenn wir Kirche sein wollen, also zum Herrn gehörig. Hinauszugehen – als Menschen, die Frieden bringen, die andere aufrichten; und nicht zerstören. Die in dieser Welt einen Unterschied machen, weil sie an den Gott der Liebe glauben.
Pfingsten ist kein Fest der Vergangenheit. Es ist das Fest der Gegenwart Gottes – in dir und mir, in unseren Gemeinden, in der Welt. An Pfingsten geht es darum, wie wir leben und wie wir für unser Leben Hoffnung haben, und dass auch wir für andere ein Zeichen der Hoffnung sind.
Liturgisch geht die Osterzeit an Pfingsten zu Ende. Aber existentiell nicht; für unser Leben endet Ostern nicht. Denn Ostern ist geschehen – ein für alle Mal, und wir leben in der Osterzeit. (Nicht nur 50 Tage – einmal im Jahr.) Ostern ist schon geschehen. Es hat schon begonnen, dass alles gut wird. Auch wenn die Welt so wenig danach aussieht. Gottes Sohn ist da – auch heute.
Und damit sind wir beim Ypsilon und auch gleich beim Z. Im heutigen Evangelium hören wir: „Denn Gott hat diese Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.“ (Joh 3, 16): Seinen Sohn (YIOS), und damit wir das Leben (ZOÉ) haben.
Nur durch dieses gemeinsame Bekenntnis: Dass Christus wirklich der Sohn des Vaters ist, der Retter, der Erlöser, und dass wir alle in die Liebe des Vaters zum Sohn mit hineingenommen sind, nur so sind wir eins. Dieses Bekenntnis eben wurde vor 1.700 Jahren im ersten ökumenischen Konzil von Nicäa ausgesprochen – und es prägt seitdem unseren gemeinsamen Glauben.
Wir glauben ja nicht daran, dass Jesus einfach ein Prophet ist, der Kluges über Gott zu sagen wusste; einfach ein guter Mensch, der uns ethisch wertvolle Regeln gegeben hat. Denn Christsein heißt nicht, an ein System von Regeln glauben, an eine Idee, eine bestimmte Weltanschauung. Das Wesen des Christentums liegt in dieser Person Jesus Christus. Wir glauben an eine Person, an den, der uns Gott genauso gezeigt hat, wie er ist. Die Theologen nennen das die Selbstmitteilung Gottes. Jesus Christus ist diese Selbstmitteilung. Gott ist in ihm Mensch geworden, damit wir Menschen erkennen, wer Gott ist und wie Gott ist.
Der Grund unseres Glaubens ist Jesus – nichts anderes. Dieser Satz findet sich übrigens (völlig identisch) sowohl bei Gerhard Ebeling, dem großen evangelischen Theologen, der im II. Weltkrieg Pfarrer hier in Hermsdorf war, wie auch bei Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI.. Dass der auferstandene Herr wirklich Gottes Sohn ist, ist der Kernsatz unseres Glaubens. Da kommt nicht noch etwas anderes hinzu, das wir glauben müssten; aus ihm lässt sich unser ganzes Christsein entfalten.
Und dass wir genau darin Leben haben, nicht Gericht und Verwerfung, sondern Leben! Die Griechen hatten zwei Wörter für Leben. Das eine ist „bios“. Es meint das Leben, das entsteht und vergeht. Heute würden wir sagen: das medizinisch messbare Leben; eben biologisches Leben. Und dann hatten sie das Wort „zoé“, das hier gebraucht ist. Gerade in Verbindung mit „ewigem Leben“ (zoen ai-onion) Es ist das Leben, das Gott schenkt; das nicht allein an Raum und Zeit gebunden ist, ans Materielle. Das Leben, das glückt und gelingt: eben gerettet ist. Davon ist hier die Rede.
Wer auf diesen Jesus baut, sein Leben baut – und auch sein Sterben bauen kann – der geht nicht verloren. Unser Leben endet nicht im Nichts. Niemandes Leben endet im Nichts. Unser Leben hat ein Ziel. Und dieses Ziel heißt Jesus Christus. Er ist es, der uns mit seiner Liebe einst empfangen wird. Das meint ewiges Leben. „Ewig“ – nicht zeitlich verstanden, sondern endgültig; vollendet, als Ziel! Der Vater, der von Ewigkeit her den Sohn liebt, liebt auch uns. In diese Liebe sind wir mit hineingenommen.
Im Bekenntnis von Nicäa, das wir gleich sprechen wollen, sagen wir: „… aus dem Vater geboren vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“.
Das ist eine Formelsprache, die heute nur schwer zugänglich ist; oft missverstanden werden kann. Und eigentlich würde es sich lohnen, jedes Wort davon genau aufzuschließen. Aber in dieser Formel drücken wir im Grunde nur aus, was wir mit „Gottes Sohn“ meinen. Eben nicht allein ein vorbildlicher Mensch, der viel über Gott zu sagen wusste; ein Wanderprediger, der eine kleine jüdische Splittergruppe anführte. Das war er sicher alles auch. Aber für uns Christen aller Konfessionen: Orthodoxe, wie Evangelische, wie Katholiken ist er eben: Der Sohn des Vaters, der Herr ist, der lebendig macht.
Jetzt an Pfingsten war es wieder oft zu lesen: Mit diesem Glauben, mit diesem Vertrauen in den auferstandenen Herrn werden wir (hier bei uns) immer weniger. Die Zeiten ändern sich. Wir müssen von Vielem Abschied nehmen; von Vertrautem und Gewohntem. Auch hier bei uns, auch wir müssen von Liebgewonnenem und Gewohntem Abschied nehmen. Christus hat uns nicht versprochen, dass alles so bleibt, wie es vor 20 Jahren war (oder vor 50 oder 100 Jahren). Und wie vor 1.700 Jahren ist es schon gar nicht mehr.
Was also sollen wir tun – angesichts des Wandels? „Wir sollen die Wahrheit tun“, steht heute im Evangelium, und nichts Böses tun, nichts Finsteres. Die Wahrheit sollen wir tun. „Wahrheit“ heißt hier aber nicht allein Richtigkeit; also alles recht zu machen. Das sollen wir Menschen sowieso. Dazu braucht man nicht Christin und Christ zu sein. Das meint er ja mit, nichts Böses tun und Finsteres, das die Welt so oft liebt. Wahrheit heißt hier wörtlich: Un-Verborgenheit, Offenbar-Werden. Dass offenbar wird, dass wir in Gott sind, in Gottes Geist, und dies auch zeigen. Nur so können wir der Welt glaubhaft machen, dass Jesus wirklich Mensch geworden ist, um uns aus der Macht der Angst um uns selbst zu befreien.
Dass uns das gelingt, auch im Alltag, im Umgang mit unseren Schwestern und Brüdern, dass wir gemeinsam ein Zeichen der Hoffnung in dieser Welt sind, das wünsche ich uns an Pfingsten – gerade, wenn so Vieles in dieser Welt schiefzugehen scheint. An Pfingsten singen wir gerne wir: „Komm heil‘ger Geist, der Leben schafft, erfülle uns mit Deiner Kraft … Du öffnest uns den stummen Mund und machst der Welt die Wahrheit kund“ (vgl. Gotteslob, Nr. 342).
Gottes Geist ist in der Welt – für immer. Und auch wenn wir uns scheinbar noch so sehr anstrengen: Wir löschen ihn nicht aus. Gottes Geist der Liebe bleibt. Denn Ostern ist schon geschehen. Es hat schon begonnen, dass alles gut wird.
(Predigt im ökumenischen Gottesdienst zum Pfingstmontag, 9. Juni 2025, in Christkönig, Berlin-Lübars)
Bild: Logo des Jubiläumsjahres 2025 (vgl. https://www.dbk.de/themen/heiliges-jahr-2025/materialien#c8768)