Mein Namenspatron hat einen etwas zweifelhaften Ruf. Da wird der arme Thomas jedes Jahr wieder im Evangelium am Sonntag nach Ostern von Jesus gescholten: „Nur weil du gesehen hast, glaubst du. Selig, die nicht sehen und doch glauben.“ Ich frage mich: Geht es uns nicht genauso? Würden wir nicht auch gerne sehen wollen, anfassen, genau wissen, verlässlich wissen, dass dieser auferstandene Jesus der Herr ist, der Christus und Sohn Gottes? Aber wir sehen ihn nicht. Uns nennt Jesus selig, wenn wir glauben, ohne zu sehen. Ein bisschen ist dieser Thomas so wie wir alle – eben unser Zwilling. Er will alles ganz genau wissen. Thomas kann nicht vertrauen. Die anderen sagen: Wir haben den Herrn gesehen. Er sagt: Nur wenn ich es mit meinen eigenen Augen sehe, glaube ich. Wenn ich den Beweis anfassen kann; einer, der sich auf Empirie stützt, auf Erfahrungswissen.
Aber der Glaube sieht mehr. Wenn ich glaube, vertraue ich. Ich kann gar nicht anders. Ohne Vertrauen, dass das, was einem die Apostel da über Jesus sagen, geht es nicht. Das ist ein bisschen wie in unseren Beziehungen zu anderen Menschen. Ohne ein gewisses Maß an Grundvertrauen, an Vertrauensvorschuss, kann ich keine Beziehung zu anderen Menschen haben. Schon gar, wenn ich eine enge Beziehung eingehen will. Wir wissen: Wenn dieses Grundvertrauen gestört ist, durch Krankheit oder traumatische Erfahrungen oder weil es in der Kindheit gar nicht ausgebildet wurde, sind meine Beziehungen zu anderen gestört; können gar nicht wirklich wachsen. Wenn wir nicht schon als Kinder gelernt haben, zu vertrauen, wird unser ganzes Leben von Misstrauen geprägt sein. Am meisten geht es uns so in der Liebe zu einem Menschen. Wir müssen einfach vertrauen können, dass es wahr ist, wenn jemand zu mir sagt: „Ich liebe Dich.“ Denn einen wissenschaftlichen Beweis dafür haben wir nicht. Und wie oft zweifeln an dem, was andere sagen? Wie oft wird Vertrauen auch missbraucht? Das kennen wir alle. Verlorenes Vertrauen dann wiederzuerlangen, gehört zum Schwersten, was es gibt.
So geht es Thomas auch mit Jesus. Er hat auf ihn gebaut; hat vermutlich gehofft, dass Jesus sich mit Macht durchsetzt; dass das Reich Gottes anbricht; er es den Römer endlich so richtig zeigt. Und die Armen und Benachteiligten endlich gerettet werden, so wie er es vom Messias erhofft hat. Und dann das schändliche Ende am Kreuz, dieses komplette Scheitern; alles Aus! Alles verloren! Tot! Und da soll Thomas dann glauben, wenn die anderen sagen: Wir haben den Herr gesehen? Er lebt. Er ist mitten unter uns.
Thomas ist unser Zwilling. Wie sollen wir glauben, ohne zu sehen? Vertrauen auf das, was uns die Apostel sagen, die Kirche heute sagt. Papst Franziskus sagte einmal: „Nur das Vertrauen und nichts anderes führt uns zur Liebe.“ (C’est la Confiance, 2023, 1) Ein Vertrauen, das auch zweifelt, oft zweifelt, aber immer wieder vertraut, dass wir nicht enttäuscht werden. Jesus enttäuscht nicht. Jesus betrügt nicht. Jesus ist die auferstandene Hoffnung. Wir haben auch nichts anderes: Nur diesen Jesus. Sein Wort, von dem wir sagen: es ist Gottes Wort. Er zeigt uns Gott genau so, wie er ist: nichts als Liebe und Barmherzigkeit, Vergebung und Zärtlichkeit. Genau das konnten wir von Papst Franziskus lernen. Dieses Vertrauen in die auferstandene Hoffnung, die niemals enttäuscht; auf die wir unser Leben und unser Sterben bauen können.
Eine Woche lang haben wir nun wieder Ostern gefeiert, wie jedes Jahr, eine Woche der Freude über das Leben, das uns Jesus schenkt. Aber wir müssen Ostern richtig verstehen; so wie auch Thomas, unser Zwilling, es erst lernen musste: Dieser Auferstandene ist nicht einfach in sein vorheriges Da-sein zurückgekehrt. Er war nicht scheintot oder ist durch Zauberei einfach wieder lebendig. Tot ist tot. Das haben wir diese Woche gerade wieder gesehen, wenn wir Papst Franziskus aufgebahrt im Petersdom liegen sahen. Tot ist tot.
Auferstehung meint nicht, das Sterben einfach rückgängig zu machen. Christus ist nicht vom Kreuz herabgestiegen. Er starb und wurde begraben, so wie wir alle einmal. Aber wir vertrauen darauf: Der Gott allen Lebens, an den Jesus geglaubt und den er uns gezeigt hat, hat ihm im Tod neues Leben geschenkt.
Ich langweile Sie jetzt nicht wieder mit meinen Lieblingsbegriffen BIOS und ZOE, dass die im Griechischen zur Zeit Jesu beide „Leben“ meinten, aber eben unterschiedlich. Denn „Leben“ ist nicht nur das materielle, biologische, medizinisch messbare Leben, ein Leben, das entsteht und vergeht und irgendwann endet. „Leben“, von dem hier die Rede ist (zoé), meint mehr. Es meint sinnvolles Leben, gelungenes Leben, geglücktes Leben; Leben, das nur Gott schenken kann, die Fülle des Lebens, und das ist eben nicht nur materiell in Raum und Zeit gebunden.
Wir Christen vertrauen darauf: Unser Leben endet nicht im Nichts. Niemandes Leben endet im Nichts. Unser Leben geht auf ein Ziel zu; und dieses Ziel heißt Jesus Christus. Dietrich Bonhoeffer sagte einmal: „Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln.“ Dieses auferstandene Leben, dieses Ostern, das uns Jesus im Vertrauen auf ihn schenkt, davon ist hier die Rede. Das können wir von Thomas, unserem Zwilling, lernen. Und dass er gezweifelt hat, ist nur menschlich. Glaube gibt es nicht ohne Zweifel. Niemand, gar niemand, hat den vollkommenden Glauben. Und die Überzeugung, alles zu wissen, hat uns nichts anderes eingebacht als die Ursünde schlechthin.
„Der Glaube befreit uns von der Angst, zu denken, dass alles hier endet, dass es keinerlei Erlösung gibt für das Leiden und die Ungerechtigkeit, die auf der Erde herrschen.“ (1) Das sagte Papst Franziskus letzten Oktober in Rom. Dieses „unermessliche Geschenk“ hat uns Jesus gemacht. Er hat Jesus vertraut. Vertrauen auch wir ihm!
(1) vgl. Papst Franziskus: Katechese in der Generalaudienz am 16.10.2024, zitiert nach: https://www.vatican.va/content/francesco/de/audiences/2024/documents/20241016-udienza-generale.html
(Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit in der Wort-Gottes-Feier am 25.4.2025 in St. Hildegard, Berlin-Frohnau, sowie in der Hl. Messe am 26.4.2025 in Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf)
Bild: Caravaggio, Der ungläubige Thomas, um 1601 (Potsdam, Bildergalerie Sanssouci), Foto: privat