Das ist kein leichtes Evangelium heute. Für unsere Ohren klingt es sogar hart und verwirrend: Diejenigen, die uns am liebsten sind, sollen wir geringachten und sogar uns selbst?
Aber auch schon die erste Lesung ist alles andere als gefällig. Da steht: Wir wissen eigentlich gar nichts. „Einfältig sind unsere Gedanken; wir erraten kaum, was auf der Erde vorgeht.“ Wir tun ja manchmal so, als wüssten wir alles und können alles. Aber bei allem, was wir wissen und können: Die entscheidenden Fragen bleiben immer unbeantwortet: Was ist Gottes Plan? Welchen Sinn hat das alles? Was für ein Ziel unser Leben? Wozu gibt es die Welt?
So hat es der Philosoph Leibniz schon formuliert: Ich wundere mich, dass es überhaupt etwas gibt und nicht vielmehr nichts. Warum ist überhaupt etwas und nichts? Nun, wenn nichts wäre, wären wir nicht da. Wir sind aber da und in Frage gestellt durch die Endlichkeit der Welt, durch den Tod, durch Krankheit und Leid. Also der Mensch hat Fragen, die er ohne den Plan Gottes nicht beantworten kann. Und jetzt kommt Jesus. Der sagt und wir Christen glauben ihm das: Er zeigt uns Gott genauso, wie er ist.
Auf dem Weg in den Urlaub waren wir jetzt in Taizé. Jetzt im August ist da vor genau 20 Jahren Frère Roger Schutz ermordet worden.
Von ihm stammt der schöne und sehr kurze Satz, und mehr muss eigentlich gar nicht wissen: „Gott kann nur lieben.“ Gott kann nur lieben. Das ist es, was wir Christen glauben. Gott tut nichts, außer zu lieben. Das ist der Gott, den uns Jesus zeigt. Der in Jesus ein Gesicht bekommt, Mensch wird, um uns das zu sagen: Gott ist Liebe – nichts sonst.
Aber sich darauf einzulassen, ganz einzulassen, ist schwer. Denn das ist alles andere als nur nett und bequem und romantisch. Gott ist nicht nett. Er fordert etwas von uns. Er fordert uns ganz. Sie kennen vielleicht das schöne, relativ neue, kirchliche Lied: „Folgen. Leben mit Jesus hat Folgen.“ Genau darum geht es heute hier in diesem Evangelium Die Art, wie Jesus uns Gott zeigt, hat Folgen. Nachfolge hat ihren Preis.
„Wenn einer mit mir gehen will, so muss ich für ihn wichtiger sein als alles andere in seinem Leben: wichtiger als seine Eltern, als seine Frau, seine Kinder, seine Geschwister, ja wichtiger als das eigene Leben. Sonst kann er nicht mein Jünger sein. Und: Wer nicht bereit ist, sein Kreuz auf sich zu nehmen und mir so nachzufolgen, kann nicht mein Jünger sein. … Überlegt auch ihr vorher, ob ihr bereit seid, alles aufzugeben und mir nachzufolgen. Sonst könnt ihr nicht meine Jünger sein“ (vgl. Albert Kammermayer: Das Neue Testament. Eine Übersetzung, die unsere Sprache spricht. München, Don Bosco Medien, 2012).
Jetzt könnte man denken: Na ja, das gilt für die Profis. Die Jünger. So heißt es hier ja wörtlich. Also diejenigen, der er auswählt, damit sie einen geistlichen Dienst leisten; die Bischöfe, Priester, die Diakone, schon nicht mehr ganz so. Ich glaube, das wäre zu kurz gedacht.
Hier steht, dass er zu einer riesigen Volksmenge spricht. Er ist mit seinen Zwölf auf dem Weg nach Jerusalem. Und viele schließen sich unterwegs an. Viele wahrscheinlich aus Neugierde, was das für ein merkwürdiger Wanderprediger da ist. Und zu diesen Vielen sagt er: Überlegt Euch genau, ob ihr bereit seid, so zu leben und ob ihr dazu in der Lage seid. Nicht aus spontaner Euphorie und Romantik. Aus wirklicher, reifer Überlegung. Und er bringt die Beispiele, wo einer unüberlegt ein Haus baut oder wo ein König viel zu wenig Soldaten hat, um einem anderen Stand zu halten. Überlegt genau, was es für Folgen hat, wenn ihr auch darauf einlasst. Er ist auf dem Weg nach Jerusalem, und er weiß, was ihn erwartet: Leiden, Verspottung, Qual, Tod am Kreuz.
Seid ihr bereit, da mitzugehen? Die Folgen zu tragen? Es gibt keine billige Nachfolge, hat Dietrich Bonhoeffer einmal gesagt. Also sich selbst und das, was einem noch so viel wert ist, nicht als das Wichtigste nehmen. Also letztlich: Auf Besitz verzichten! „Besitz“ ist in diesem Zusammenhang auch die Beziehung zu andern Menschen – aufgezählt werden die nächsten Verwandten und die eigene Familie, ja die eigene Seele. Nichts ist größer als die Beziehung zu Gott und nichts kann dem vorgezogen werden, wenn ich mich auf diese Art zu leben einlassen will. Und das gilt eben nicht nur für die Profis, es gilt für uns alle. Wenn wir mit Jesus leben wolle, hat das Folgen. Das kann man gerade in Taizé lernen. Und das macht es für so viele junge Menschen, und auch ein paar ältere, ja so anziehend. Weil du dort spüren kannst: Die Art zu leben, wie Jesus es uns zeigt, die können wir auch in den Alltag mitnehmen; der Gott, den Jesus uns zeigt, der geht auch im Alltag mit uns.
Frère Roger sagte: „Wir dürfen lernen, verfügbar zu sein.“ Für Gott, für unsere Mitmenschen. Und wir können es lernen. Aber das hat Folgen. Solange ich der Meinung bin: Nur ich zähle, nur mein Wohlbefinden; was gehen mich die anderen an; soll doch jeder an sich selbst denken, solange kann ich nicht Jesu Weg mitgehen. Nachfolge hat ihren Preis.
„Wir wissen, welch enormes Ungleichgewicht in der Welt herrscht. In vielen Ländern setzt man auf das Haben statt auf das Sein; man „schwimmt“ im Konsum mit all seinen Auswirkungen, während in anderen, bevölkerungsreichen Ländern die Menschen erschreckende Not leiden. Ein Motto, das Abhilfe schaffen und ein neues Gleichgewicht herstellen könnte, heißt: Geben … eine Kultur des Gebens schaffen“ (vgl. Chiara Lubich, Die große Sehnsucht unserer Zeit, München, Verlag Neue Stadt, 2008, 4. September).
Teilen und nicht nur von der Angst um mein eigenes Wohl getrieben sein, von der Angst, den eigenen Lebensraum und den Wohlstand zu verlieren, sondern durch Jesu Beispiel lernen, loszulassen und im Teilen Lebensmöglichkeiten für alle entdecken; und den Mitmenschen, (das können wir in der zweiten Lesung heute hören, im Brief an Philemon), nicht mehr nur als Fremden, „als Sklaven“ sehen, sondern als „geliebten Bruder“ – und Schwester.
Das konnten wir von Frère Roger lernen, und das ist die Forderung, wenn wir Jesu „Jünger“ sein wollen.
(Predigt zum 23. Sonntag im Jahreskreis C am 6. bzw. 7.9.2025 in St. Katharinen, Mühlenbecker Land-Schildow, und Maria Gnaden, Berlin-Hermsdorf.
Zum Ganzen vgl. auch Prof. Dr. Matthias Beck: Predigt zum 23. Sonntag im Jahreskreis, 4.9.2022, St. Josef zu Margareten, Wien, dem ich wesentliche Einsichten zu diesem Evangelium verdanke.)
(Bild: „Homeless Jesus“ von Timothy Schmalz vor der Chiesa Sant’Egidio, Rom. Foto: privat)