Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem, den Weg, der ihn in die ganze Hingabe seines Lebens führt – bis zum Tod am Kreuz. Alle Erzählungen auf dem Weg, so auch die des heutigen Evangeliums dienen einzig dazu, die Jünger und uns mitzunehmen auf diesen Weg; den Weg zum Ziel der Auferstehung; den Weg zum Heil; den Weg zur Befreiung aus der Macht der Angst um uns selbst.
Heute hören wir von den Aussätzigen, die ihm auf dem Weg begegnen. Sie bleiben von Ferne stehen. Denn Aussatz, also Lepra, ist damals (medizinisch völlig unsinnig, aber aus der damaligen Zeit verständlich) ein Aussonderungsgrund gewesen – ähnlich wie HIV vor 40 Jahren. Absondern! Ausgrenzen! So sieht es auch das jüdische Gesetz vor. Die Leprakranken müssen sich fernhalten, aber Jesus sieht sie, wie es hier wörtlich heißt, „er sieht sie an“. Er wendet sich ihnen zu und sondert sie nicht aus.
Denn der Aussatz ist mehr als nur eine Hautkrankheit, die Jesus heilt. Neben der körperlichen Krankheit heilt er sie auch von der Absonderung, der Ausgrenzung. Denn Isolation macht Menschen krank und raubt ihnen den Glauben an sich selbst, raubt ihnen ihre Würde. Wer je Ausgrenzung erfahren hat, weiß, was es heißt, wenn einer sich einem zuwendet so, so wie Jesus hier.
Aber eigentlich steht hier ja gar nicht die Heilung im Mittelpunkt: Dass Jesus die Lepra heilt, wird gar nicht berichtet. Er sagt nur – ebenfalls so, wie es die Tora im Buch Levitikus vorschreibt: „Zeigt Euch den Priestern!“, und auf dem Weg dorthin sind sie geheilt.
Das Wesentliche auf diesem Weg passiert erst nach der Heilung: Einer von den Zehn dreht um und wendet sich wiederum Jesus zu, er dankt ihm und vor allem Gott „mit lauter Stimme“. Und nun beginnt dieser Dialog über die Dankbarkeit.
Wieso nur er? – Ein Fremder, also Nicht-Jude; einer aus Samarien womöglich; einer aus dem Dorf vielleicht, das die Jünger an anderer Stelle im Evangelium am liebsten niederbrennen würden, weil dort die Ungläubigen wohnen. Dieser Fremde, dieser „Ungläubige“ weiß, dass er seine Heilung allein Gott verdankt. Dafür dankt er. Und darauf sagt der Herr: „Dein Glaube hat dich gerettet“. Der Glaube, dass ich mein Leben GOTT verdanke und nicht mir selbst, nicht irgendwelchen Rechthabereien und Selbstbehauptungen, sondern allein Gott – dieser Glaube rettet.
Denn alles Wesentliche im Leben verdanken wir nicht uns selbst. Wir können uns anstrengen und planen; wir können uns Mühe geben und sollen das auch. Und wir schaffen ja auch Vieles. Aber das Leben z.B. oder geliebt zu sein, angenommen zu sein, das können wir nicht machen. Das verdanken wir nicht allein uns selbst, sondern nur der Begegnung mit einem Du.
„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, wie Martin Buber wusste, Begegnung mit dem Du. Demjenigen, der sich uns zuwendet, uns sieht, uns annimmt, so wie Jesus hier bei den Ausgesonderten. „Um Gott zu danken, wendet sich der Samariter Jesus zu. Er identifiziert Jesus mit Gott – das zeigt die Geste des Niederfallens an. Dann sagt Jesus ihm Rettung zu. Diese Rettung kann nicht die körperliche Heilung meinen – sie ist bereits geschehen. Der Glaube des Fremden, seine Umkehr zu Jesus, das führt zur endgültigen Rettung. Für seine Umkehr wird er von Jesus gelobt, die anderen haben – zwar körperlich rein – die Chance zur Umkehr zum Heil nicht ergriffen. Das ist die Botschaft des Evangelisten an seine Leser/innen. Alle, auch die Fremden, können in der Hinwendung zu Jesus im Glauben Heil erfahren.“ (Vgl.: Anne Radermacher, in: https://www.bibelwerk.de/fileadmin/sonntagslesung/c_jahreskreis.28_e_lk.17.pdf)
Auch die noch so Fremden, also auch wir, können uns Jesus zuwenden, weil er sich uns zuwendet. Auch uns, nicht nur den Aussätzigen hier im Evangelium! Allen wendet er sich zu! Ausnahmslos!
Das mit dem Danken ist so eine Sache. Bei Vielem im Leben – und unsere ganze westliche Kultur – basiert darauf, denken wir ja: Also darauf habe ich einen Anspruch, meist sogar einen Rechtsanspruch, Dinge, die wir für selbstverständlich halten; eigentlich das meiste, wenn man sich unsere Gesellschaft heute so anschaut: sauberes Wasser, Luft zum Atmen, Sicherheit, Schulbildung, Krankenversorgung. Alles selbstverständlich und mit das Meiste sogar Rechtsanspruch, denken wir.
Und manchmal das gilt sogar für den Dank selbst. Auch den halten wir in vielen Lebensumständen für selbstverständlich. „Also dafür könnten die mir ja dankbar sein“; „eigentlich habe ich sowieso vielmehr Dank verdient“. Manchmal denken sogar Eltern so in Bezug auf ihre Kinder, dass die ihnen Dank schulden. Manchmal knebeln Eltern ihre Kinder emotional durch eine Art Verpflichtung zur Dankbarkeit. „Dass sie ihnen das Leben schenkten, sie großzogen und umsorgten, gehört (in dieser Logik) gebührend gewürdigt und durch ein entsprechend ‚dankbares Verhalten‘ unter Beweis gestellt. Natürlich, wenn Kinder Dank fühlen, ist das wunderbar [und gut]. Doch eingeforderte Dankbarkeit ist vergiftet, erst recht, wenn sie für Selbstverständlichkeiten verlangt wird. [Denn] Kinder möglichst gut großzuziehen, ist eine Pflicht verantworteter Elternschaft. Alles andere wäre verwahrlosend und lieblos.“ (Vgl. Anke Lechtenberg: Die Sonntagsevangelien im Lesejahr C: Auslegungen für Predigt und Meditation, Regensburg, 2024.)
Jesu Worte dürfen wir hier also nicht missverstehen: Er fordert nicht den Dank ein – so als ob die anderen neun Geheilten ihm nun gefälligst auch mal danken könnten. Er fragt nach ihnen. Er fragt, wo sie sind, weil er will, dass auch sie gerettet sind. Gerettet sind sie aber nicht durch die körperliche Heilung, sondern allein durch Gott und dadurch, dass sie sich Gott zuwenden. Dafür ist der Dank nicht einzufordern, sondern wenn, dann wäre er die logische Folge.
Der große mittelalterliche Theologe Meister Eckhart sagte: „Wenn dein einziges Gebet, das du je sprichst, allein aus dem Wort DANKE bestehen würde, wäre das genug.“
(Predigt in der Wort-Gottes-Feier zum 28. Sonntag im Jahreskreis C, 11.10.2025, in St. Hildegard, Berlin-Frohnau)
Bild: privat