Christus ähnlich werden

Evangelium

Wir Menschen sind vergesslich. Das ist nicht schlimm. Das muss so sein. Aber manchmal ist es doch gut, sich zu erinnern. Was z.B. in unserer Pfarrei inzwischen fast vergessen ist: Als sie gegründet wurde, 2017, entstand die Frage, welchen Namen die neue Pfarrei haben solle und welches Patronat. Es gab einen pfarreiweiten Aufruf, Vorschläge einzubringen. Und es kamen viele Vorschläge: Johannes Bosco, Johannes Paul II., Edith Stein, alles exzellente Namen, aber auch diejenigen, nach denen bei uns schon Kirchen benannt sind, wurden genannt: St. Martin oder Maria, die Muttergottes. Als wir uns die Vorschläge anschauten, fiel auf, dass es niemanden gab, der Franz von Assisi vorgeschlagen hatte, Franziskus, was mich persönlich ziemlich wunderte. Denn Franziskus ist weltweit einer der beliebtesten Heiligen; man findet nur schwer jemanden, der Franz von Assisi nicht mag. Für seine Armut, seine Hingabe an die Menschen am Rand der Gesellschaft und seine Liebe zur Schöpfung wird er weltweit verehrt. Einer der ganz großen Friedensstifter war er. Mitten im Kreuzzug suchte er das Gespräch mit dem Sultan in Ägypten. Ohne irgendeinen Auftrag oder militärischen Schutz ging er offen und brüderlich auf die Muslime zu und errang eine Verständigung, in der zwar beide Seiten bei ihren Positionen blieben, aber der Sultan von Franz so beeindruckt war, dass erstmal keine weiteren Kämpfe mehr stattfanden.

Franziskus wird verehrt – weltweit. Der heilige Bonaventura, einer seiner Nachfolger als Leiter der Franziskanerorden, sagte schon früh: „In Franz von Assisi ist die Güte Gottes, unseres Erlösers, auf Erden sichtbar geworden.“ Aber von Anfang an war Franziskus immer auch ein bisschen suspekt. Die Radikalität, mit der er das Evangelium leben wollte, schockierte. Als erste natürlich seine Familie, als er auf den väterlichen Besitz verzichtete, bis hin zu seinen Kleidern alles ablegte, radikale Armut und Nachfolge Jesu leben wollte. Die Zeitgenossen in Assisi hielten ihn gar für „verrückt“, und auch später, als immer mehr sich ihm anschlossen und die Franziskaner als Orden sich gründeten, kam schnell die Frage auf, ob man denn überhaupt so leben könne, wie Franziskus es verlangte: Nichts besitzen, nicht mal eigene Kleidung, Essen und Unterkunft. Alles nur dann zu haben, wenn es einem geschenkt wurde.

Bis heute ist das eine Frage, die nicht nur die franziskanischen Orden umtreibt, und derentwegen es dort auch früh Spaltungen gab: Kann man so radikal arm leben? Heute leben auch die Franziskaner nicht mehr allein vom Betteln. Aber der Geist des Franziskus lebt auch dann fort, wenn man es etwas gemäßigter angeht. Denn die grundsätzliche Frage bleibt doch: Was gehört mir eigentlich? Und was brauche ich wirklich zum Leben?

Es gibt bevölkerungsstatistische Analysen, dass ein Mensch in Europa heute durchschnittlich rund 10.000 Dinge besitzt. Brauchen wir die wirklich? Seit ich 60 bin, habe ich mir vorgenommen, jeden Tag einen Gegenstand, den ich besitze, herzugeben. Nur einen jeden Tag! Und ich werde sicher nicht fertig damit, solange ich lebe.

Sicher, Franziskus war radikal, aber auch für uns heute gilt doch: Wenn wir uns all das anschauen, was wir haben, was uns gehört und was wir zu brauchen glauben, das, was wirklich wertvoll ist, haben wir nicht uns selbst zu verdanken. Das, was wirklich zählt, und ich meine nicht nur das Materielle, alles, was wirklich zählt, ist uns geschenkt worden, ist nicht unser Verdienst, unsere Leistung.

Allein schon unser Leben verdanken wir nicht uns selbst, sondern unseren Eltern. Diese Erde, die Lebensgrundlagen, dass wir denken können, dass wir hier in Wohlstand aufgewachsen sind und in Frieden, all das verdanken wir nicht uns selbst, sondern denen, die uns vorangegangen sind.

Und unseren Glauben, den schon gar nicht! Ohne diejenigen, die uns im Glauben vorangegangen sind, wäre er uns nicht geschenkt. Denn er ist uns geschenkt. So wie alles, was wirklich wertvoll ist, Geschenk ist, Gabe; uns von jemand gegeben; also Geschöpf ist und auf keinen Fall allein durch uns selbst geschaffen.

Das ist, finde ich, sowieso ein Grundproblem unserer Zeit: Zu meinen, ich habe alles allein mir selbst zu verdanken; alles, was ich bin und was ich habe, habe ich selbst allein errungen, und ich muss also niemandem dankbar sein.

Doch, ich muss dankbar sein für so vieles! Mangelnde Dankbarkeit ist ein Grundproblem unserer Zeit; mangelnde Wertschätzung, gerade alten Menschen gegenüber, die mir vorangegangen sind. Das Wenigste ist mein eigenes Verdienst. Das können wir von Franziskus lernen. Und deshalb lohnt es sich, immer wieder an ihn zu erinnern: Den Armen aus Assisi, der sich selbst „poverello“ nannte, also „kleiner Ärmlicher“, der nicht einmal im arm Sein groß sein wollte.

„Man hat gesagt, Franziskus sei gleichsam ein »zweiter Christus«…; … wirklich eine lebendige Ikone Christi. Er wurde auch »Bruder Jesu« genannt. Das war in der Tat sein Ideal: Wie Jesus sein; den Christus des Evangeliums betrachten, ihn innig lieben, und seine Tugenden nachahmen. … [Denn] aus der Liebe zu Christus entsteht die Liebe zu den Menschen und auch zu allen Geschöpfen Gottes. Und da gibt es einen weiteren Wesenszug der Spiritualität des Franziskus: Der Sinn der universalen Brüderlichkeit und die Liebe zur Schöpfung“ (Benedikt XVI., 27.1.2010). Und genau das kann auch uns heute ein Vorbild sein.

Wir haben dann in den Pool der Vorschläge, wie unsere Pfarrei heißen soll, auch seinen Namen geworfen, und die Abstimmung ergab, dass die überwältigende Mehrheit dafür war, unsere Pfarrei nach ihm zu nennen.

Heute Abend vor 799 Jahren ist er gestorben – nach einer sehr langen und schmerzhaften Erkrankung. Es geht die Legende, dass er an diesem Abend in Assisi in seiner Lieblingskirche, der Portiuncula, wollte, dass man ihn auf den Boden lege, ohne Kleidung, so wie er geboren wurde. So wollte er sterben; so wollte er demjenigen, den er Bruder Tod nannte, begegnen: Arm und mit offenen Armen wollte er in Gottes Liebe hinübergehen.

Deshalb feiern wir heute Abend diesen Transitus und deshalb gedenken wir in unserer Pfarrei dieses Heiligen, der Jesus ganz ähnlich werden wollte und der auch uns heute zeigen kann, wie es geht, Christus und seiner frohen Botschaft zu folgen, seinen Weg der Liebe und Barmherzigkeit mitzugehen.

(Predigt in der Wort-Gottes-Feier zum Transitus des Hl. Franziskus, 3.10.2025, St. Hildegard, Berlin-Frohnau)

Bild: Cimabue, Franziskus (Ausschnitt aus dem Fresco ‚Leben der Jungfrau Maria‘), Basilica San Francesco, Assisi, um 1285; Foto: privat

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